Geschenkt

Das Recht über sich selbst

Hiergegen läßt sich nun die höchst einfache Tatsache einwenden, daß der den Mutterleib verlassende Embryo sich keineswegs dem Staate zu irgend etwas verpflichtet, da ihm ja die Willensfähigkeit mangelt. Das Kind wird bekanntlich ohne seinen Willen in die Welt gesetzt, und ebensowenig wie seine Erzeuger daher für die Kreation Dankbarkeit von ihm verlangen dürfen, ebensowenig hat der Staat einen Anspruch gegen ihn, daß er am Leben bleibe. Es sei uns verstattet, hier ein Analogon im bürgerlichen Recht zu konstatieren. Die S c h e n k u n g ist ein Vertrag, erfordert also Annahme seitens des Beschenkten; wer wider seinen Willen eine Sache erhält, darf sie dem Geber zurückgeben; niemand ist gezwungen, eine Sache schenkweise anzunehmen. Das „Geschenk“ des Lebensgutes nun erfolgt ausnahmslos ohne Einwilligung des „Beschenkten“. Wer sollte ihn zwingen dürfen, es zu behalten? Und da dieses Gut einmal nicht die Eigenschaft hat, dem Geber zurückgegeben werden zu können, so bleibt dem widerwillig Bedachten in diesem Falle nichts anderes übrig als – sich zu töten.

– Kurt Hiller, Das Recht über sich selbst (1908)