Die Liebe ist ein Kind der Freiheit

Lieben – das heißt den geliebten Menschen zu fördern, befreien, beleben und behüten. Die meisten Beziehungen zwischen Menschen sind jedoch von der Angst besetzt, der Partner könne sich weiter entwickeln und einem dabei aus den Fingern gleiten. Diese Angst führt zu dem Bemühen, ständig das Bestehende zu festigen und zu sichern, da jede Veränderung und Entwicklung gefährlich erscheint. So wird der vermeintlich geliebte Mensch gehemmt, erstickt, gelähmt und an die Kette gelegt: Gehemmt, damit er sich nicht von einem fort entwickeln kann; erstickt, um ihn ständig unter Atemnot zu halten (wer frei atmet, fühlt sich freier!); gelähmt, damit er nicht fortlaufen kann; an die Kette gelegt, um ihn unter dauernder Bewachung zu haben. Wer einen Mitmenschen (dazu noch einen angeblich geliebten) so behandelt, der lügt, wenn er von Liebe redet. Tatsächlich benützt er den anderen als Krücke, um sich selbst einigermaßen aufrecht zu halten. Erich Fromm formulierte treffend: »Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Mißbrauch des Wortes, um die Wahrheit des Nichtliebens zu verbergen.« (1)
Er bezeichnet das, was gemeinhin Liebe genannt wird, als einen Prozeß im ›Habenmodus‹, der Besitzansprüche und Kontrollierenwollen bedeutet. Liebe ist nach seiner Meinung eine Fiktion. Für ihn existiert nur die positive und produktive Aktivität des Liebens. »Es bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, sein (ihr) Lebensgefühl zu steigern; es ist ein sich selbst erneuernder und intensivierender Prozeß.« (2)
An diesen Maßstäben gemessen sind liebende Menschen die Ausnahme. Dennoch meint jeder, den Menschen auch tatsächlich zu lieben, von dem er es glaubt. Auf diesem Irrtum beruhen viele der unverständlichen und widersprüchlichen Handlungen eines Eifersüchtigen. Würde jeder zu den Bedürfnissen stehen, die er mit oder durch seinen Partner befriedigen will, und auf das Heucheln von Liebe verzichten, wäre manches in den Beziehungen untereinander einfacher und logischer zu verstehen und zu handhaben.
Wirkliche Liebe kann nicht eifersüchtig sein. Doch wird sie nur der Mensch geben können, der zufrieden in sich ruht, um den Wert seiner Person weiß und es sich leisten kann, einem geliebten Menschen Individualität zuzugestehen. Ein solcher Mensch wird durchaus den Verlust seines Partners fürchten und betrauern. Doch wird er nie versuchen, ihn als Sklaven zu betrachten, dem er vorschreiben kann, was dieser zu tun und zu lassen hat.
Nur geheuchelte Liebe wird zur Eifersucht neigen, die Liebe derer, die ihren Nächsten genauso wenig lieben können wie sich selbst. Wer sich im Grunde minderwertig fühlt und sich selbst ablehnt, wird diese Verachtung auf andere übertragen und seinen Partner als Leibeigenen, als Sklaven sehen. In solchen Menschen bricht auch tatsächlich eine Welt zusammen, wenn ihr Partner eigene Wege geht: Eine Scheinwelt, welche eben durch diesen Partner aufrecht erhalten werden konnte. Im wahrsten Sinne des Wortes werden diese Menschen enttäuscht. Ihre Illusion vom eigenen Wert, im tiefsten Herzen nie so recht geglaubt, wird ihnen genommen und mit ihr die Stütze, die sie aufrecht gehalten hat.

(1) & (2) Erich Fromm: Haben oder Sein

– Heinz Körner, Eifersucht – Ein Lesebuch für Erwachsene