Verlassensein

»In seiner Wohnung hatte er es nicht mehr ausgehalten, weil er sich darin wie ein Gefangener gefühlt hatte. Wie ein Gefangener hatte er sich gefühlt, weil er es tatsächlich nicht mehr geschafft hatte hinauszugehen. Das hatte er nicht mehr geschafft, weil an öffentlichen Plätzen Panikattacken über ihn gekommen waren. Die Panikattacken hatte er bekommen, weil er vereinsamt war, und vereinsamt war er endgültig, als Charlotte ihn verlassen hatte. Charlotte hatte ihn verlassen, weil er den Kontakt zu ihr verloren und nicht mehr gesucht hatte. Und warum wollte er den Kontakt zu ihr nicht mehr finden? Spätestens an dieser Stelle fehlten Fred die Antworten. Suchte er insgeheim, , was er am meisten fürchtete, nämlich das Verlassensein? Hatte er zu viel gesoffen? War das Saufen ein Symptom oder eine Ursache? Litt er daran, dass er nicht schrieb? Hatte er nicht geschrieben, weil er zu viel gesoffen hatte, oder hatte er zu viel gesoffen, weil er nicht geschrieben hatte? Das alles hatte sich vermischt, zu einem unerträglich lähmenden Gefühl der Ausweglosigkeit, und gleichzeitig war die sonst so hilfreiche Selbstironie in Selbsthass umgeschlagen.«
– René Freund, Liebe unter Fischen