Torine

Das Verlangen entsteht ganz plötzlich, aus dem Nichts. Gilles sah den kleinen roten Mund, der sich alle paar Sekunden öffnete, um eine spitze, lange Zunge herauszulassen, die zwei Finger mit einem kleinen quadratischen Papierchen ableckte. Sprachlos sah er zu, ohne sich zu rühren. Oft hatte er ein spontanes Begehren gespürt, wenn er Elisa ansah, doch es war eine Begierde gewesen, die sich langsam und angenehm steigerte. Dieses Mal war es, als würde sein nackter Körper von einer Panik erfaßt, er hatte den Eindruck, das Blut ließe seinen Kopf bis zum Platzen anschwellen. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. »Also wirklich. Das ist doch Victorine… Ich kenne sie seit Jahren… Schon als kleines Mädchen mit einem Zopf auf dem Rücken und später mit einem Knoten… Es ist nur die kleine Torine.«
Aber es nützte alles nichts, spielte überhaupt keine Rolle mehr. Während sie weiter ihre Marken aufklebte, war es ihm, als sähe er diese sich öffnenden Lippen, diese Zunge, die sich hervorschob und wieder zurückzog, zum erstenmal. Er erhob sich, ging um den Tisch herum und stützte sich auf die Herdstange. Dort stand er völlig reglos und starrte Victorine mit riesigen Augen an.
– Madeleine Bourdouxhe, Gilles’ Frau