»Ich durfte mich von den Objekten meiner Betrachtungen und Beobachtungen nicht mehr verletzen lassen. Ich mußte in meinen Betrachtungen und Beobachtungen davon ausgehen, daß auch das Fürchterlichste und das Entsetzlichste und das Abstoßendste und das Häßlichste das Selbstverständliche ist, wodurch ich überhaupt diesen Zustand hatte ertragen können. Daß, was ich hier zu sehen bekommen hatte, nichts anderes als ein vollkommen natürlicher Ablauf als Zustand war. Diese Ereignisse und Geschehnisse, rücksichtslos und erbarmungslos wie keine andern in meinem bisherigen Leben, waren auch, wie alles andere, die logische Konsequenz der von dem menschlichen Geist allerdings immer fahrlässig und gemein und heuchlerisch abgedrängten und schließlich vollkommen verdrängten Natur gewesen. Ich durfte hier, in diesem Sterbezimmer, nicht verzweifeln, ich mußte ganz einfach die hier wie möglicherweise an keinem anderen Ort ganz brutal offengelegte Natur auf mich wirken lassen. Unter Einsetzung des Verstandes, zu welchem ich plötzlich, nach ein paar Tagen, wieder befähigt gewesen war, hatte ich die Selbstverletzung durch Beobachtung auf ein Minimum einschränken können.«
– Thomas Bernhard, Der Atem