»Angeblich lehrt uns die Astrologie fatalistisch: du wirst deinem Schicksal nicht entrinnen! Meiner Meinung nach sagt die Astrologie (die Astrologie als Metapher des Lebens, wohlgemerkt) etwas viel Subtileres: du wirst deinem Lebensthema nicht entrinnen! Das bedeutet zum Beispiel, daß es eine reine Illusion ist, irgendwann mitten im Leben ein ›neues Leben‹ beginnen zu wollen, das in keiner Beziehung zum vorangegangenen steht, wieder bei Null anzufangen, wieder bei Null anzufangen, wie man so sagt. Ihr Leben wird immer aus dem gleichen Material, den gleichen Ziegelsteinen, den gleichen Problemen bestehen, und das, was Ihnen im ersten Moment wie ein ›neues Leben‹ vorkommt, wird sich sehr bald als pure Variation des vorangegangenen erweisen.
Das Horoskop gleicht einer Uhr, und die Uhr ist eine Schule der Vergänglichkeit: sobald der Zeiger einen Kreis beschrieben hat und wieder an die Stelle zurückgekehrt ist, von der er ausgegangen ist, ist eine Phase abgeschlossen. Auf dem Zifferblatt des Horoskops drehen sich neun Zeiger mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, jeden Moment geht eine Phase zu Ende und eine andere beginnt. Wenn der Mensch jung ist, ist er noch nicht fähig, die Zeit als Kreis zu sehen, er sieht sie als Weg, der gradlinig zu immer neuen Horizonten führt; er ahnt noch nicht, daß sein Leben nur ein einziges Thema enthält; er wird es erst begreifen, wenn sein Leben die ersten Variationen durchläuft.«
– Milan Kundera, Die Unsterblichkeit