Der Auftrag

…denn die Kamera sei dazu da, eine Zehntel-, eine Hundertstel-, ja Tausendstelsekunde festzuhalten, die Zeit aufzuhalten, indem sie die Zeit vernichte, auch der Film gebe ja die Wirklichkeit, lasse man ihn ablaufen, nur scheinbar wieder, er täusche einen Ablauf vor, der aus aneinandergereihten Einzelaufnahmen bestände, habe er einen Film gedreht, so zerschneide er den Film wieder, jede dieser Einzelaufnahmen stelle dann eine kristallisierte Wirklichkeit dar, eine unendliche Kostbarkeit, aber jetzt schwebten die zwei Satelliten über ihm, er habe sich mit seiner Kamera wie ein Gott gefühlt, aber nun werde beobachtet, was er beobachte und nicht nur was er beobachte, sondern auch er werde beobachtet, wie er beobachte, er kenne das Auflösungsvermögen der Satellitenaufnahmen, ein Gott, der beobachtet werde, sei kein Gott mehr, Gott werde nicht beobachtet, die Freiheit Gottes bestehe darin, daß er ein verborgener, versteckter Gott sei, und die Unfreiheit der Men- schen, daß sie beobachtet würden, doch noch entsetzlicher sei, von wem er beobachtet und lächerlich gemacht werde, von einem System von Computern, denn was ihn beobachte seien zwei mit zwei Computern verbundene Kameras, beobachtet von zwei weiteren Computern, die ihrerseits von Computern beobachtet und in die mit ihnen verbundenen Computer eingespeist, abgetastet, umgesetzt, wieder zusammengesetzt und von Computern weiterverarbeitet in Laboratorien entwickelt, vergrößert, gesichtet und interpretiert würden…
– Friedrich Dürrenmatt, Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter