Der Atem

»Ein Achtzehnjähriger macht die bittere Erfahrung, saß er als Todkranker von seiner Mitwelt isoliert und nahezu allein gelassen wird. Er wird ins »Sterbezimmer« geschoben, und damit scheint sein Schicksal besiegelt. Alles im Krankenhaus ist darauf ausgerichtet, den Sterbenden möglichst unauffällig und reibungslos ins Jenseits zu befördern, ihn, das Sinnbild menschlicher Hilf- und Machtlosigkeit, aus dem Blickfeld und dem Bewußtsein zu verdrängen.
Am Punkt der tiefsten Vereinsamung gelingt es dem Jungen, den Teufelskreis zu zerbrechen; er beschließt weiterzuatmen, weiterzudenken, weiterzuleben und nutzt seine wiedererwachenden Geisteskräfte und den Aufenthalt im Sterbezimmer, um das eigentümliche Verhalten der Gesunden den Sterbenden gegenüber einer kritischen Beobachtung und Reflexion zu unterziehen. In einer präzisen, fast bohrenden Sprache dringt er zum Kern seines Erlebens vor und macht das erschreckende Manko an menschlichem Mitgefühl und Verantwortungsbewußtsein deutlich, das sich auf diesem wichtigen Bewährungsfeld des Humanismus offenbart.«
– Thomas Bernhard, Der Atem